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Man erinnere sich: Vor einigen Jahren wurden viele wunderschön romatische Wanderwege zu sogenannten Trimm-Trab-Pfaden umgebaut. Holzknüppel und alte Baumstämme wurden zusammengenagelt, quergelegt, abgesägt und so weiter, damit der Spaziergänger zum Trimmer wurde. Damit ein bißchen Sport in die schlaffe Gesellschaft schwappt. Denn Sport ist gesund. Der Waldspaziergang wurde zum professionalisierten Hürdenlauf, Klimmzüge keuchten durch's Unterholz und schwitzende Familienväter zerrissen sich die Sonntagshosen beim Ausruhen auf den rohgezimmerten Holzklötzen.

So hat alles angefangen.

Da sich bei den meisten Untrainierten im Laufe der Trimmerei diverse Sportverletzungen zeigten, was dazu führte, daß heutzutage jeder Mensch weiß, wo sich das Kreuzband befindet, wurde die Fitness-Welle erfunden. Diese brachte mit sich, daß sich für die Bürger dieses Landes dutzenderlei Angebote für jede körperliche Unzulänglichkeit erschlossen. Das Herzkrankentraining für die Männer mit der grauen Haut, die Step-Aerobic-Kurse für die schwabbelnde Problemzonenweiblichkeit, die High-Impact-Sessions für die eher sehnigen Zeitgenossen, die sich dadurch in Trance derwischen konnten, die Rückenschulen für alle Büronasen, die ihre Beine nicht mehr benutzen und schließlich das sanfte Yoga, damit man sich wenigstens Bewegungen ausdenken lernt. Alles zu haben, alles zuviel.

Zu den Kreuzbandrissen kamen die Tennisarme, die hartnäckigen Pilzerkrankungen durch die Rudelduschen und irgendwann besann man sich: Fitness ist doch ein bißchen übertrieben; Wellness reicht dann auch. Das hört sich nicht so aggressiv an. Da hat man nicht gleich die Assoziationen an semiprofessionelle Trainer, die zweimal in der Woche ein bissl Diktator spielen dürfen oder an feste Trainingszeiten, die wegen des unberechenbaren Berufslebens doch nicht immer klappen.

Wellness hört sich nach Erholung an, nach Sanftheit und Entspannung. Zunächst. Was ist Wellness? Well heißt gut. Man soll sich also "gut" fühlen. Ich fühle mich mit Kakao, Keksen und einem Krimi gut. Manche fühlen sich mit prallem Oberbauch nach dem Lachsfilet gut. Ganz arme Schweine fühlen sich nach einer Flasche Jägermeister gut. Alles falsch, meine Lieben!

Wer sich nach der Wellness-Lehre gut fühlt, hat sich gemäßigt bewegt, oder sich zumindest irgendetwas Gesundes angetan. Das sieht so aus, daß es erst mal ein Schweinegeld kostet. Die Studiogebühren sind dreistellig, die Klamotten müssen aus Hightech-Fasern sein, die Schuhe mit Gel-Einlagen für den Senk-Spreiz-Schweißfuß exakt angepaßt aus dem Fachgeschäft. Die Mountain Bikes, mit denen man sich - auch in der Horde - gut fühlen kann, verschlingen locker ein durchschnittliches Monatseinkommen und die uferlos albernen Nordic Walking Stöcke könnte man auch unter Beanspruchung des Bizeps zu Rosenbögen verbasteln oder den Zweit-Zweck - die effektive Hundeabwehr - endlich zugeben.

Das leckerste an den Mountainbikern sind eigentlich die engen, glänzenden Hosen, durch die man die beiden Backen so gut sehen kann, wobei hier wieder die Pilzgefahr lauert, weshalb sich der Wellness-Kluge Mitmensch eine antibakterielle Schmierung am Genital gönnt.

Wellness heißt aber auch, daß es wieder dutzende von Videos irgendwelcher prominenten Mädels zu kaufen gibt, mit denen man der Illusion erliegen kann, mit ein paar Minuten täglicher Übungen auf dem heimischen Wohnzimmerberber könne man tatsächlich so aussehen, wie diese abgehungerte, frisch gewaschene Lichtgestalt auf dem Cover, die es sich leisten kann, die erste Hälfte des Tages mit dem Planen der zweiten Hälfte zu verdaddeln.

Alle Bewegungsarten haben neue abgefahrene Namen, das Wort "Fahrrad" verschwindet aus dem aktiven Wortschatz; genauso wie die Wörter Skifahren, Tanzen, Spazierengehen, Ballspielen in der nächsten Ausgabe des Duden wahrscheinlich nicht mehr zu finden sein werden. Es gibt nur noch Biken, Skiing, Latin-Dancing, Walking und Streetball.

Wunderbar irreal sind aber auch die Abbildungen von sogenannten Wellness-Hotels. Da sitzen schlanke Menschen in Liegestühlen, blicken entrückt auf Mosaike, die man sonst nur nach der Einnahme von LSD erfinden kann und die artig gefalteten manikürten Hände ruhen in der definierten Mitte: auf dem Bauch. Der ist eingepackt in teppichdicke Frotteetücher in weiß, aus einem Nebelbrunnen steigen duftende Dämpfe, im Hintergund Wasserrauschen oder Kling-Kloing-Xylophon und alles wird gut. Irgendwann später kommt eine freundliche Wellness-Expertin und träufelt der Kundin einige Tröpfchen Öl über die Zornesfalten. Die Hardcores lassen sich das auch ins Auge laufen. Dann kann man sich erst richtig gut fühlen. Mit derart verschleiertem Blick sieht die Welt freilich anders aus. Das ganze heißt dann irgendwie indisch und ich muß zugeben, die Geschichten, die dazu erfunden werden, finde ich ehrlich lustig.

Eigentlich verstehe ich das ganze nicht. Warum kann man sich heutzutage nicht mehr einfach bewegen, wenn man dazu Lust hat. So ganz altmodisch einfach nur sich selbst bewegen? Hand auf's Herz, so manche unter uns müssen eine ganz schöne Masse stemmen. Ich meine, ohne sich Gelenkmanschetten umzuschnallen, sich auf ein techniküberfrachtetes Bike zu quälen, oder sich einfach in die Badewanne legen, wenn man das Gefühl hat, es ginge einem damit "gut"? Wieviel frustrierte Verdrießlichkeit löst das Angebot eines "Spazierganges" aus, wenn man doch dort auch "Nordic-Walken" kann? Warum gibt es Menschen, die den Aufzug nehmen, damit sie schneller zum "Steppen" kommen? Warum hocken Männer in schweißverpesteten Muckibuden und drücken sich im heimischen Garten vor jedem Umgraben?

Vielleicht, weil keiner mehr weiß, was echte Lust ist. Lust auf Bewegung, auf Natur, auf Menschen, Freunde, auf Gerüche, Geschmäcker, Lust auf Essen, Trinken, Ficken, Fernsehen. Das haben wir alle. Was fehlt, ist die Lust, sich selber mal zuzuhören, anstatt immer den anderen zu glauben, die "wissen", was für mich gut ist.

Zu sich selbst einfach nur "gut" zu sein. Well, well.